ARTIKEL: Sprachlos- ein Leben nach dem Schlaganfall?
„Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken“
Dieses Zitat von Samuel Johnson aus dem 17.Jahrhundert bringt es auf den Punkt.
Der Schlaganfall ist weltweit die zweithäufigste Todesursache, eine Hauptursache von Behinderung und ein wesentlicher Kostenfaktor für Gesundheitssysteme.
In Deutschland ereignen sich pro Jahr etwa 270.000 neue Schlaganfälle – dies entspräche auf die Bewohner der Wedemark gerechnet etwa 100 Schlaganfälle pro Jahr. 80 % der Schlaganfallopfer sind dabei älter als 60 Jahre.
Oftmals herrscht Ratlosigkeit innerhalb der Familie, wenn ein Familienangehöriger sein Sprachverständnis oder seine Sprache und damit sein Kommunikationsvermögen nach einem Schlaganfall verloren hat. Aber auch bei degenerativen Erkrankungen – Parkinson , Demenz, ALS, MS oder sogar durch Schädel-Hirn-Traumata – können diese Symptome auftreten.
Welche Symptome, Therapiemöglichkeit und Prognosen gibt es, den auch oftmals zusätzlich psychisch & charakterlich veränderten Betroffenen zu helfen? Wir möchten Ihnen einen kleinen Einblick zu möglichen Störungen und deren Therapiemöglichkeiten verschaffen.
Aber erstmal einen Einblick, welche Risikofaktoren gibt es?
Die größten vermeidbaren Risikofaktoren für Gefäßverschlüsse und damit auch Schlaganfälle sind das Rauchen, hoher Cholesterinspiegel, hoher Blutdruck, Übergewicht und Bewegungsmangel, aber auch eine familiäre Vorbelastung.
In der Gesellschaft sind verschiedene Früherkennungssymptome bekannt, aber viele Menschen sind leider auch unzureichend informiert.
Hier einige Vorboten eines Schlaganfalls:
Sprach- und Sprechstörungen, Sehstörungen, Gefühlsstörungen, Lähmungserscheinungen (insbesondere halbseitige Lähmungen im Gesicht oder am Körper) und plötzlich auftretender Schwindel, Desorientierung oder Kopfschmerz (typisch bei Hirnblutung), jedoch im Gegensatz zu z.B. einem Herzinfarkt meist keine körperlichen Schmerzen.
Bei solchen Symptomen sollte trotzdem schnellstmöglich eine ärztliche Untersuchung erfolgen, da sie potenziell lebensbedrohlich sein können.
Wenn es nun zu einem Schlaganfall oder zu einer Hirnschädigung gekommen ist, können sehr unterschiedliche Störungen bzw. Beeinträchtigungen (einzeln oder in Kombination) die Folge sein.
Diese entstehen durch zerstörte Areale im Gehirn, die unter einer Blutunterversorgung litten oder durch eine Blutung innerhalb des Schädels in Mitleidenschaft gezogen wurden. Hier kann das Gehirn die gespeicherten Abläufe, wie z.B. die Sprache oder das Sprechen oder die Motorik (z.B. das Gehen, Essen, Mimik) nicht mehr abrufen. Es gibt sogar Betroffene, die Farben nicht mehr benennen können oder eine ihrer Körperhälften nicht mehr wahrnehmen – Dinge liegen vor ihnen und sie können sie nicht sehen.
Auch möglich sind Wesensveränderungen, die sich beispielsweise in erhöhter Aggressivität oder fehlenden Hemmungen äußern können.
„Man kann sich das wie einen abgestürzten Computer vorstellen, der langsam wieder hochfahren muss und neu programmiert wird“.
Im Allgemeinen gibt es zahlreiche und sehr unterschiedliche Symptome, die abhängig von der beschädigten Hirnregion sind. Alle Möglichkeiten aufzuzählen würde hier den Rahmen sprengen. Wichtig ist es jedoch so schnell wie möglich die entsprechende Therapie zu beginnen, da das Gehirn in der Zeit unmittelbar nach der Schädigung am besten auf Stimulation und Anregung reagiert. Selbst bei nicht ansprechbaren Patienten können passive Übungen z.B. zur Stimulation der betroffenen Körper- oder Gesichtshälfte durchgeführt werden.
Sofort mit der Logopädie beginnen…..
In den ersten 6 Wochen nach Schädigung mit Sprachverlust (Aphasie) spricht man von der Akutphase, wo es zu täglichen Symptomveränderungen kommt. Dies und die Tatsache, dass Aufgrund der Komplexität des Gehirns häufig nur sehr grobe Prognosen gegeben werden können, macht ein Einschätzen der tatsächlichen Problematik in dieser Zeit äußerst schwierig. Dies bringt Angehörigen häufig Ungewissheit und an manchen Tagen wieder große Hoffnung – diese Zeit der unregelmäßigen Symptome ist nicht leicht für Patienten und Angehörige.
Oftmals werden Patienten aufgrund des Computertomographie-Bildes nur schlechte Prognosen gegeben, die dann aber trotzdem durch hohe Eigenmotivation, Engagement und/oder Unterstützung einen sehr viel besseren Zustand erreichen.
In der Regel macht Therapie allerdings in den ersten 2 Jahren nach dem Schlaganfall fast immer Sinn, da dort die größten Fortschritte erzielt werden können.
Leider gibt auch viele Betroffene, die angesichts der schieren Schwere der Problematik und oftmals nicht schnell genug erfolgenden Fortschritte die Hoffnung aufgeben und die Therapie abbrechen.
Stellen Sie sich eine Situation wie folgt vor:
Sie können sich nicht mitteilen, die einzelnen Sprachlaute (Buchstaben) sind Ihnen nicht mehr geläufig, Sie ringen nach Worten und Anfangsbuchstaben, Sie werden wütend und traurig, weil Sie ihrem Partner nicht sagen können, dass Ihnen kalt ist oder dass Sie sehr dankbar sind, dass er für Sie da ist. Man spricht Ihnen Worte vor, aber Ihnen ist es nicht möglich diese nachzusprechen. Es ist einfach alles wie weggeblasen! Die Gedanken laufen in ihrem Kopf, Sie wissen was sie sagen möchten, aber es geht nicht.
Möglicherweise leiden Sie auch unter Demütigungen, weil man Sie aufgrund ihrer Unfähigkeit sich zu äußern als dumm abstempelt . Sie könnten dem gegenüber nicht einmal mitteilen, dass Sie alles verstehen, aber nicht sprechen können – ein Art Gefangenschaft im eigenen Kopf ! Die Intelligenz, das Wissen über die Welt, wer man ist und was man erlebt hat, sind aber meist vollständig erhalten und ohne Beeinträchtigung. Viele isolieren sich daher leider aus der Gesellschaft, Freundschaften oder Partnerschaft leiden oder gehen zu Brüche.
Dies ist ein Beispiel der apraktischen Störung, die bei neurologischer Schädigung auftreten kann, aber in der Gesellschaft nicht so bekannt ist.
Häufig haben Menschen mit einer solchen Störung jedoch zusätzlich auch noch eine sogenannte Aphasie, d.h. die Patienten haben nicht nur Mühe mit dem Sprechen, sondern auch mit der Wortfindung, mit dem Schreiben, mit abstraktem Denken, welches die Situation zusätzlich erschwert.
Durch Logopädie kann man die einzelnen Laute wieder erlernen und je nach Störungsgrad auch wieder in kleinen Sätzen zurück ins Leben finden. Anfänglich wird an der allgemeinen Kommunikation gearbeitet, es werden Umwege gesucht dem Patienten zu helfen sich nur irgendwie im Alltag mitzuteilen. Angehörige des Patienten haben es dabei in der Regel leichter mit dem Patienten zu kommunizieren als Fremde.
Degenerative Erkrankungen
Patienten, die von einer degenerativen Erkrankung („Rückverlauf“ oder „Verfall“ des Körpers) wie Parkinson, ALS oder Multiple Sklerose betroffen sind, leiden unter einem immer schlechter werdenden körperlichen Zustand. Hier spielen die Logopädie und andere Therapien eine große Rolle. In der Logopädie liegt der Fokus hier meist auf Konzentrationstraining, Gedächtnistraining, Stimmtraining und Schlucktraining. Bei diesen Krankheitsbildern liegen außerdem muskuläre Veränderungen vor: Die Muskeln werden schlaffer und bestimmte Vorgänge/Bewegungen bereiten den Patienten nach und nach immer mehr Probleme. Oftmals nicht ganz ungefährlich, denn wenn das Schlucken nicht mehr richtig funktioniert, kann es zu Lungenentzündungen kommen. Hier bemerkt der Patient oftmals das falsche Schlucken erst einmal nicht, Essensreste gelangen in die Speiseröhre, die sich dann entzünden kann.
Demenz & Alzheimer
Bei Demenz hingegen liegt ein Abbau des „Wissens“ und „Seins“ vor. Hier kann mit Logopädie & Konzentrationstraining, Wortfindungstraining, Gedächtnistraining entgegengewirkt werden. Im späteren Verlauf verlieren Menschen mit diesen Erkrankungen auch ihre Sprache, man versucht in der Logopädie-Therapie so lange wie möglich den Ist-Zustand zu erhalten.
Der Schweregrad und Verlauf kann bei diesen Störungen sehr unterschiedlich ausfallen: Umso intellektueller ein Demenz- oder Alzheimerkranker war, desto länger braucht der geistige Abbau. Selbst wenn das Sprechen und die Kognition nicht mehr vorhanden sind, können Musik und die Texte alter Lieder noch vorhanden sein. Leider gibt es bis heute keine Heilungsmethode, man kann diesen Menschen nur in ihrem Prozess begleiten und beistehen.
Autorin
Dieser Artikel wurde für die Zeitung geschrieben
Miriam A. Jaeschke
Praxis für Logopädie & Legasthenietraining Jaeschke/Lietz
Mittelstraße 10, 30900 Wedemark – Elze